Künstler

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Jörg Boström

Wann und wo wurden Sie geboren?
25.9.1936 in Duisburg

Leben Sie mit einen Partner zusammen?
Ja, mit einer Partnerin. Gabriele Schlüter-Boström.

Was ist Ihre Kunstrichtung?
Malerei, Fotografie, über Kreuz.

Wie definieren Sie Kunst?
Alles, was ich tue.

Wie kamen Sie zur Kunst?
Über Bleistift und Schmierpapier. Mein Vater brachte mir in meiner Kindheit aus dem Ingenieurbüro technische Kopien zerschnitten mit, auf deren Rückseite meine ersten Bilder entstanden. So wurde ich ein Resteverwerter.

Welchen Ratschlag möchten Sie anderen Künstlern mit auf den Weg geben?
Mach was du willst, aber mach es!

www.jbostroem.de
jbostroem@gmx.de

"Die unterzeichnenden Professoren sind der Auffassung, daß die Kunstakademie einer sie in ihrer Existenz bedrohenden Krise entgegengeht. Urheber dieser die innere wie die äußere Ordnung der Hochschule gefährdenden und die Arbeitsfähigkeit Schloss Wrodowihrer Mitglieder in Frage stellenden Entwicklung ist ein Ungeist, der im wesentlichen aus dem Ideenkreis und dem Einfluß von Herrn Joseph Beuys stammt. Anmaßender politischer Dilettantismus, Sucht nach weltanschaulicher Bevormundung, demagogische Praktik und - in ihrem Gefolge - Intoleranz, Diffamierung und Unkollegialität zielen auf die Auflösung gegenwärtiger Ordnungen, greifen störend in künstlerische und pädagogische Bereiche ein und erniedrigen, bewußt verletzend, menschliche Werte. Wir bestreiten weder den künstlerischen Rang von Herrn Joseph Beuys, noch verkennen wir die von ihm ausgehende Faszination. Diese seine Fähigkeiten wie auch die von ihm eingenommene künstlerische Position könnten für die Hochschule von großem Nutzen sein, wären sie nicht gekoppelt mit einem sich immer deutlicher dokumentierenden Willen nach Macht und nach potentiellem Übergewicht innerhalb der Hochschule. Indem er seine Klasse zum Agitationszentrum macht, benutzt er diese nicht nur zur Ausweitung seiner Einflußnahme auf unser Haus und dessen Lehrbetrieb, sondern er benutzt die Hochschule selbst als ein Mittel zur Weiterleitung seiner Ideen in die Gesellschaft. Mit Hilfe der Deutschen Studentenpartei, deren Gründer er ist, hat Joseph Beuys einen bedenklichen Einfluß auf die Reformbewegung unserer Hochschule genommen. Die studentische Vertretung, deren Mitwirkung und Mitbestimmung von der Professorenschaft gemeinsam mit den Vertretern der Assistenten und Dozenten in unserem Hause versuchsweise eingeführt wird, verfällt zunehmend utopischen und anarchistischen Argumentationen und wird zum Sprachrohr dieser Ideologie. Konferenzen arten aus in pseudopolitisches Geschwätz und provokatorische Kritik, die sich zu unrealistischen Forderungen steigern, wobei eine offene Feindseligkeit gegen die parlamentarische Demokratie zutage tritt. Das Kollegium hat Herrn Joseph Beuys mehrfach - anfangs noch einstimmig, dann aber über viele Bedenken hinweg - das Vertrauen ausgesprochen. Angesichts der heutigen alarmierenden Situation halten wir eine Überprüfung des Vertrauensverhältnisses für notwendig. Wir selbst erklären, daß wir Herrn Joseph Beuys unser Vertrauen entziehen müssen."

Manifest der Professoren an der Kunstakademie Düsseldorf vom 12 November 1968, unterzeichnet von

Gert Weber, Norbert Kricke, Karl Bobeck, Walter Breker, K. O. Götz, Gerhard Hoehme, Günter Grote, Karl Robaschik, Schloss WrodowManfred Sieler, Rolf Sackenheim

Beuys antwortet seinen Widersachern: "Ihr fühlt euch gestört, weil ihr unfruchtbar seid".

Joseph Beuys war 1961 als Nachfolger Josef Magers an die Düsseldorfer Kunstakademie berufen worden, obwohl sein ehemaliger Lehrer, der Bildhauer Ewald Mataré, gewarnt hatte: "Ihr wollt doch nicht Beuys berufen, der ist doch verrückt". Bis dahin eher "stumm", entdeckte Beuys als Akademielehrer die Macht des Wortes, der Sprache. Das fortwährende intensive Gespräch mit seinen Schülern wurde zentraler Bestandteil des "erweiterten Kunstbegriffs", dessen Kristallisationspunkt die "Soziale Plastik" als gesellschaftliches Kunstwerk ist, das die kreativen Kräfte des einzelnen mobilisiert und erst die Voraussetzung für wirkliche Demokratie schafft.

Beuys vertrat den Standpunkt, dass jeder, der Kunst studieren wolle, auch Kunst studieren solle. Er ignorierte den "Numerus clausus" und nahm jeden in seine Klasse auf, auch und gerade diejenigen Bewerber, die seine Kollegen zuvor abgelehnt hatten. Beuys lehnte das Mappenverfahren ab und plädierte für zwei, allenfalls drei Probesemester, um die Begabung der Bewerber auf diese Weise zu ermitteln. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um seine Person hatte er zeitweise 400 Schüler. Damit ging er - recht bewußt - an die Substanz der Akademie.

Bei Beuys verdichtet sich immer mehr der Ideenzusammenhang einer "Freien Internationalen Universität" als einer umfassenden "Sozialen Plastik". Er hat eine "Freie Hochschule" im Visier, in der die Studierenden Kreativität als Gestaltung von Freiheit erfahren können. Unter Ausschluss jeglicher Bevormundung und Beachtung des Prinzips der Selbstbestimmung sowie der Angliederung eines internationalen Kommunikationszentrums sollen nicht nur Künstler und Kunsterzieher ausgebildet, sondern zahlreiche Disziplinen in vielfältiger Weise zusammengeführt werden.

Schloss WrodowBeuys ist von Anfang an nicht nur Lehrer, "sondern auch ein rasch und immer stärker ausgreifender Aktionist, der zwischen Außen- und Innentätigkeit freilich keine Unterschiede macht. Das heißt: Auch draußen ist Akademie, und die Akademie ist selbstverständlich Aktion. Der introvertierte Beuys hat aufgehört zu existieren" (Stachelhaus). Beuys sagte kurz und bündig: "Wo ich bin, ist Akademie". Nach einer Auseinandersetzung beim Festival der neuen Kunst am 20. Juli 1964 in der Aula der Technischen Hochschule Aachen, bei der der blutiggeschlagene Beuys ein Kruzifix hochhält, soll der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke gegenüber dem Düsseldorfer Kultusminister geäußert haben, ein solcher Mann könne doch nicht Professor sein. Beuys wird jedenfalls nicht Beamter, sein Dienstvertrag als angestellter Professor wird von Zeit zu Zeit verlängert.

Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um den Schahbesuch Anfang Juni 1967 in Berlin und dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg gründet Beuys einige Monate danach die "Deutsche Studentenpartei" (später umbenannt in "Fluxus Zone West"), die so heiße, weil jeder Mensch ein Student sei, und die als "Partei gegen Parteien" zu verstehen sei. Mit seiner Studentenpartei, zu deren Mitbegründern auch der Beuys-Schüler und AStA-Sprecher Johannes Stüttgen gehört, arbeitet Beuys auf eine Umstrukturierung der Akademie im Sinne des "erweiterten Kunstbegriffs" hin und provoziert damit beträchtlichen Widerstand bei einem großen Teil der Akademieprofessoren, die schließlich im November 1968 ihr Manifest gegen Beuys verfassen und ihm das Vertrauen entziehen.

Ein halbes Jahr davor war es an der Kunstakademie zu einer krisenhaften Zuspitzung gekommen. Die Beuys-Schüler Chris Reinecke und Jörg Immendorff hatten die "Lidl"-Akademie gegründet. Ihr Ziel unter anderem: Künstlerische Arbeit in der Öffentlichkeit, Erweiterung des Bewußtseins aller. Im Flur der Kunstakademie stellen Studenten ein Papphaus auf, die "Lidl"-Klasse, in der Informationen und Arbeitsanweisungen ausgegeben werden. Als Ziel der Aktion ist die Umstrukturierung der Düsseldorfer Kunstakademie im Beuysschen Sinne unverkennbar. Professoren werden nicht gefragt, die Studenten nehmen sich das Recht, ihr Leben und ihr Lernen selbst zu gestalten. Der Direktor der Kunstakademie, Eduard Trier, widersetzt sich dem Ansinnen der "Lidl"-Leute, die Akademieräume bei allen Veranstaltungen für die Öffentlichkeit ohne Einschränkung zu öffnen. Er weigert sich, einer für den Mai 1969 geplanten internationalen Arbeitswoche der "Lidl"-Akademie Arbeitsräume zur Verfügung zu stellen. Beuys und zwei weitere Professoren bieten ihre Klassenräume an, worauf Direktor Trier die "Lidl"-Arbeitswoche untersagt und Immendorff Hausverbot erteilt. Die nun illegale "Anti-Akademie im Schoß der Akademie" (Thwaites) geht im Raum von Beuys weiter, worauf Trier am 5. Mai die Polizei ruft. Am nächsten Tag wiederholt sich das Ganze und am 7. Mai fordert Direktor Trier die "Lidl"-Anhänger definitiv auf, das Akademiegebäude zu verlassen. Als die Lage sich zuspitzt, wird Beuys gerufen, dem es in einer Vollversammlung gelingt, die "Lidl"-Studenten zum Verlassen des Gebäudes zu bewegen, so dass die präsente Polizei nicht eingreifen muss.

Schloss WrodowImmendorff setzt die Internationale Arbeitswoche in einem Zelt vor der Kunstakademie fort. Auf Anordnung des Wissenschaftsministers wird die Akademie für fünf Tage geschlossen.

Nachdem die Akademieprofessoren im November 1968 Beuys ihr Vertrauen entzogen hatten, setzte der Akademieprofessor Norbert Kricke mit einem Artikel in der ZEIT vom 20. Dezember 1968 nach. Krickes Polemik gegen Beuys soll hier in vollem Wortlaut wiedergegeben werden, weil der Text mit seiner Zuspitzung die eigenartige und einzigartige Stellung von Beuys im Gefüge der Akademie viel mehr noch als das Professorenmanifest in der Spiegelung eines Gegners atmosphärisch verdichtet:

"Der Fall Beuys ist kein Fall, vielmehr ist er eine elende Geschichte vom grotesken Eifer schneller Skribenten, mangelhaft und einseitig informiert, zu eilig, zu schwärmend, zu viel Trompete, zu viel auf die Pauke. Es gibt eben doch viel mehr Werber und Publizisten als kritische Geister im Lande, und das beunruhigt mich.

Warum alarmiert Beuys die Presse, warum spielt er verfolgt? Es ist gar nicht verwunderlich, wenn sich Künstler, die im gleichen Hause lehren, belästigt und geelendet fühlen durch Beuys, der mit telepathischen Aktionen und metaphysischem Fanatismus die Akademie benutzt, um sich zu zelebrieren, um sich zu verwirklichen, um Stimmen zu sammeln für seine Zwecke.

Die ersten Opfer dieser Taktik waren die Professoren selber. Beuys konnte ihnen seit Jahren suggerieren, sich rückhaltlos für seine Verbeamtung einzusetzen. Halb in Trance wiederholten zwanzig Hochschullehrer eine Solidaritätskundgebung nach der anderen für ihren Kollegen - nicht so der Schreiber.

Erst vor kurzem erwachte die Lehrerschar, fast die Hälfte stellte sich gegen Beuys, und da überfiel ihn die Angst. Er lief von Presse zu Presse und fand manche bereit, in seine Dienste einzutreten.

Schloss WrodowWas kümmerten die Kritiker Strelow und Jappe allseitige Information, Vollständigkeit der Tatsachen?

Das meiste wurde inzwischen richtiggestellt, Falsches ausgeräumt und Fehlendes ergänzt. Was bleibt, ist das Schwärmen, die kritiklose Begeisterung. Ich dämpfe die Trompete von Herrn Jappe, ich kann nicht dafür, wenn er nicht darüber nachdenkt, was pädagogische Tätigkeit und Wirkung sind. Ich kann nicht dafür, wenn er die Vielzahl der Schüler als Beweis dafür ansieht, dass der Lehrer gut sein muss. Herr Jappe kann aber dafür, dass er Jünger für Schüler und einen Prediger für einen Pädagogen hält.

Dieser Unterschied hätte schon im geistigen Vorfeld von Herrn Jappes schneller Feder geklärt sein sollen. Es ist nicht pädagogisch, jungen künstlerischen Menschen, unsicher und tastend im eigenen Wuchs, Patentschlüssel fürs Leben zu geben, mit denen sie doch nur die Schlösser öffnen, die der Meister selbst gebaut hat.

Schwarm, Rausch und gemeinsame Heilsgesänge sollte man nicht verwechseln mit künstlerischer Arbeit, die Lehrende und Lernende betreiben, mit dem freien geistigen Spiel, mit dem Dialog, der dem jungen Künstler hilft, seine Persönlichkeit zu bilden.

Beuys und seine Schüler schwärmen. Fanatisierte Jünger des Meisters durchlaufen die Akademie wie ferngelenkte Medien, tuscheln und rascheln und zeigen eine insektenhafte Aktivität, sind clever, eifrig und emsig wie Maos kleine Chinesen.

Es ist ein reges Getue, das kann man wohl sagen, auf Fluren, in Klassen, auf Treppen, in Aula und Mensa, an Wänden und Türen all over: Beuys, seine Partei, halb auch sein AstA, wenig von Kunst.

Dieses Gewispere in der Akademie, das Hin und Her, das Auseinanderlaufen, sich in Ecken sammeln, das An- und Abschwellen von Geräuschen, das Presse-rein und Presse-raus, die Zettelwirtschaft - all das ist nicht schlecht. Es hat etwas Phantastisches und unterbricht in reizvoller Lebendigkeit das Schloss WrodowPathos unseres Hauses. Nicht ohne Spaß zu sehen, wie Pförtner und Bedienstete mit sogenanntem gesunden Menschenverstand dieser Sache begegnen, Finger an die Schläfe legen, Augen hoch zum Himmel.

Beuys liebt die Akademie, er liebt sie auf seine Art, doch mich macht es nachdenklich, wenn ein Künstler von heute nicht ohne Gefolgschaft und bergende Institution leben kann, wenn er die Akademie als Zuflucht und Heim benutzt und sich an sie klammert. Er braucht sie und gebraucht sie. So sieht er also aus, "der westdeutsche Avantgardist und mutigste Künstler unserer Zeit", er spannt sie alle für sich ein, Galeristen, Kirchenfürsten, Presse, Rundfunk, Fernsehschau fordern seine Verbeamtung.

Angst scheint seine Triebkraft zu sein, sie sitzt tief und überall bei ihm: Technik ist böse, Heute ist böse, Autos sind schrecklich, Computer unmenschlich, Fernseher auch, Raketen sind furchtbar, Atome gespalten zerrütten die Welt, Flucht in das Gestern, Besserung der Menschen, Sehnsucht nach rückwärts: altes Gerät, Kordeln mit Gebündeltem, Staub und Filz, Befettetes, Wachs und Holz, mürbes Gewebe, Trockenes und Geschmolzenes, alles serviert er grau, braun und schwarz wie dunkel gewordene alte Gemälde, Museumsstaub, Museumsgeruch an allen Objekten schon bei der Entstehung, dämmrig und wenig belüftet die Welt seiner Dinge; dauerndes Spiel, Versteck im Versteck, Wachs auf der Kiste, Fett im Eck, in den Teppichrollen qualvoll lange drinnen bleiben: Er nimmt es auf sich für uns alle. Das ist sein Anspruch: Vertreter im Leiden, er spielt den Messias, er will uns bekehren, er will die Akademie die Rolle der Kirchen übernehmen lassen - das ist für mich sein Jesus-Kitsch.

Die ersatzkünstlerische, ausweichende, formlose Sendung und Heilandsmanier steigert sich ins Unerträgliche. Auch die Politik soll besser werden, nicht mehr lügen, Wahrheit sagen, Gutes tun und Händchen halten. Phrasen zur Verbesserung, Heilsverkündung, Nächstenliebe.

Anders der Künstler in seinen Aktionen: Hasenschlachten, Blutgeschmiere im Gesicht und an die Wände, und zum Hasen selbst verwandelt nimmt Kontakt er auf zum "Geist". Spiritismus und Beschwörung, Opferszenen vor den Heiden, all dieses ist Ausdruck seiner Sehnsucht nach Vergangenheit, die ihn befreit vom Druck und der Bedrohung, wie er sie durch die Gegenwart zu erfahren glaubt. Er kommt vom linken Niederrhein, der auch seine geistige Heimat geblieben ist.

Wie weit gefasst, wie künstlerisch sind Rauschenberg und Oldenburg, wie viel größer das künstlerische Volumen, wie viel lebendiger die Intelligenz bei Dali und Tanguy, wie viel mehr Mut, wie groß ihr Humor. Wir fliegen und haben das Auto, es rechnen die Computer, wir landen auf dem Mond - all das ist garnichts?

Kunst bringt uns Neues, Beuys bringt Altes. Wenn unsere Welt aus seinen Materialien gebaut wäre, sie wäre aus Pappe, Filz und Papier und geistig noch mehr von gestern. Nicht ein Phänomen unseres Jahrhunderts hat er in Form gebracht - Weltanschauung, Gruppengeist, Gemeinschaftsfieber gelten nicht für Form, die er uns schuldig bleibt. Er gibt von allem ein bisschen, vom Kalten, vom Warmen, vom Kreuz und vom Blut, vom Guten, vom Bösen - und alles ganz sentimental. Beuys ist kein Fall, wenigstens kein künstlerischer, er scheint ein Fall zu sein für Soziologen, Politologen, Theologen, Mythologen - and last but not least Beamtologen."

Soweit Krickes Polemik in der ZEIT.

Schloss WrodowAls 1971 an der Düsseldorfer Kunstakademie wieder 142 Bewerber für das künstlerische Lehramt nicht angenommen werden, nimmt Beuys im August 1971 alle abgewiesenen Studienbewerber für ein Probesemester auf. Er schreibt an Direktor Trier: "Jeder Versuch, unserer Klasse einen Aufnahmemodus vorzuschreiben, weisen wir jetzt und in Zukunft als rechtswidrigen Eingriff in die Lehrfreiheit zurück. Das gilt auch für jede Vorschrift bezüglich der Schülerzahl unserer Klasse. (Die Akademie ist frei.) Dasselbe gilt für jede andere Vorschrift, die das Prinzip dieser Freiheit antastet. Es ist also möglich, dass ein Lehrer, der dazu willens ist, 142 Studenten zusätzlich aufnimmt, obgleich andere - beamtete Lehrer - sich schon mit sechs Schülern oder ähnlichen Zahlen ausgelastet fühlen. Kapazitätsfragen der Akademie, Raummangel, Hauspersonalmangel, Lehrmittelmangel, Lehrermangel etc. haben im Zusammenhang mit einer Aufnahmeregelung nichts zu suchen. Für diese Mangelerscheinungen tragen die zuständigen Behörden, ihre Beamten und letztlich die über die Köpfe der Mehrheit hinwegherrschenden Parteipolitiker den Betroffenen und dem ganzen Volk gegenüber die volle Verantwortung. Der Numerus clausus ist grundrechtswidrig und keine sachgerechte Lösung der Kapazitätsprobleme ..."

Das Wissenschaftsministerium reagiert prompt und erklärt, die 142 Bewerber werden in Düsseldorf keine Zulassung erhalten. Das Ministerium werde ihnen ein Studium an einer geplanten Entlastungsakademie im westfälischen Raum (Münster) anbieten.

Beuys kämpft weiter um die Zulassung der 142 Bewerber und besetzt am 15. Oktober 1971 mit einer Studentengruppe das Sekretariat der Akademie, wobei er die Herausgabe von Studienbüchern verlangt. Nach Verhandlungen mit dem Wissenschaftsministerium und gewissen Zusagen räumen Beuys und die Studenten das Sekretariat.

Im Sommer 1972 wiederholt sich das Spiel. 125 Studienbewerber werden abgewiesen. Beuys erklärt umgehend, er werde allen 125 abgelehnten Studenten Gelegenheit zur Aufnahme in ein Probesemester seiner Klasse geben.

Schloss WrodowDas Wissenschaftsministerium fordert Ende August 1972 Unterlassung, Beuys wiederum erklärt in einem offenen Brief vom 5. Oktober 1972, es sei unzulässig, andere Gesichtspunkte als Anlage und Neigung der Schüler für die Aufnahme in bestimmten Schulen gelten zu lassen. Er sei keineswegs bereit, die hier erkennbaren Versäumnisse der Verantwortlichen ... ausgerechnet den benachteiligten jungen Menschen anzulasten. Am 10. Oktober besetzt Beuys mit einer Studentengruppe trotz einer Warnung des Wissenschaftsministeriums erneut das Akademiesekretariat. Der Minister reagiert sofort.

"Düsseldorf, den 10. Oktober 1972

Mit Schreiben meines Vertreters vom 6.10.1972 sind Sie bereits darauf hingewiesen worden, daß die Besetzung des Sekretariats der Staatlichen Kunstakademie den strafrechtlichen Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt und ich nicht gewillt bin, solche strafbaren Handlungen hinzunehmen. In diesem Schreiben ist Ihnen auch bereits eröffnet worden, daß ich mich, sollte dies dennoch geschehen, zu einer sofortigen Auflösung des Dienstverhältnisses zum Lande Nordrhein-Westfalen genötigt sehen würde. Trotz dieses Schreibens haben Sie heute seit 11 Uhr das Sekretariat mit etwa 60 bis 80 Personen besetzt und weder den in meinem Auftrag gegebenen Hinweis meines zuständigen Abteilungsleiters Ministerialdirigent von Medem noch meine Ihnen um 14 Uhr zugeleitete Aufforderung auf unverzügliche Räumung des Sekretariats befolgt. Dieses Verhalten ist mit Ihren Pflichten als Landesbediensteter und Professor der Staatlichen Kunstakademie unvereinbar. Die Fortsetzung des Dienstverhältnisses kann dem Lande Nordrhein-Westfalen nicht mehr zugemutet werden. Ich kündige daher mit sofortiger Wirkung gemäß § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches den mit Ihnen am 12. März 1969 abgeschlossenen Dienstvertrag. Gleichzeitig fordere ich Sie erneut unter Hinweis auf die Bestimmungen des Strafgesetzbuches auf, das Sekretariat der Staatlichen Kunstakademie sofort zu räumen.

gez. Johannes Rau

Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen"

Alle Fotos: Jörg Boström

Text in Anlehnung an Heiner Stachelhaus, Joseph Beuys, Econ Taschenbuch im Ullstein Taschenbuchverlag, 2001

Fortsetzung

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